Über mögliche alternative Prüfungsformate in der aktuellen Situation des Distanzlernens und deren Rechtssicherheit wird momentan hauptsächlich über und mit Kolleg*innen der weiterführenden Schulen diskutiert.
Für die Grundschule findet sich wenige Ansätze, selten mit Bezug zum Distanzlernen. Ist es denn überhaupt möglich, während des Distanzlernens Noten zu vergeben? Und ist es sinnvoll?
Wie die Noten in der Grundschule in Niedersachsen zu ermitteln sind, kann in den curricularen Vorgaben des jeweiligen Faches nachgelesen werden. Letztendlich kann die Fachkonferenz über die Art und Weise der Leistungskontrolle sowie die Gewichtung z.B. der Punkteverteilung entscheiden. Alternativen zur klassischen schriftlichen Lernzielkontrolle sind in Grundschulen nicht selten, beschränken sich aber häufig auf Referate bzw. Vortrag mit Präsentation (ganz klassisch das Plakat), Lapbooks oder besondere Lernaufgaben. Diese erfolgen in einem zeitlich von der Lehrkraft festgelegten Rahmen und die erbrachten Leistungen sind durch festgelegte, für alle gültige Bewertungskriterien gut miteinander vergleichbar.
Meine Meinung dazu: Das schafft Sicherheit für die Kinder „Ich weiß, was von mir erwartet wird“, für die Eltern „ah, das müssen wir also üben“ und für die Lehrer*innen „Falls einer die Note anzweifelt, bin ich auf der sicheren Seite.“ Oder ganz ketzerisch: „Ich habe da noch einen Test zum Thema XYZ in der Schublade liegen…“
Wenn wir uns hier die Chancengleichheit ansehen, so haben natürlich immer die Kinder einen Vorteil, deren Eltern sie unterstützen, Nachhilfe finanzieren, usw.
Tatsächliche Chancengleichheit gibt es meiner Meinung nach in unserem Schulsystem gar nicht.
Trotzdem haben auch Kinder mit wenig oder keinerlei Unterstützung eine reelle Chance, denn während des Präsenzunterrichts wird differenziert (nicht erst seit der Inklusion). Eine gute Lehrkraft sorgt dafür, dass der Unterrichtsstoff für die Kinder so aufbereitet wird, dass alle das Lernziel erreichen.
Wenn wir nun in den Hyridunterricht wechseln (damit meine ich Szenario B, fahren wir seit mehreren Wochen, ich habe allerdings keine Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen nur zu Hause beschult werden müssten), klafft die Schere „Chancengleichheit“ noch stärker auseinander. Nicht nur die häusliche Unterstützung spielt eine größere Rolle, sondern zusätzlich die häusliche Ausstattung und die Infrastruktur, aber auch die Möglichkeiten der Lehrkraft, die Kinder im Distanzlernen zu unterstützen, sind nun wichtig.
Lernen in Distanz (auch während Szenario B) kann gelingen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind.
· Kind A hat zu Hause einen ruhigen Arbeitsplatz (optional mit Unterstützung eines Erwachsenen) sowie Zugang zu einem digitalen Arbeitsgerät (Laptop/PC/Tablet) mit ausreichender Internetanbindung.
· Kind A ist vertraut mit der Lernplattform/dem LMS, das die Schule einsetzt.
· Kind A hat im Präsenzunterricht Arbeitsformen kennengelernt und geübt, die das selbstgesteuerte Lernen fördern.
· Kind A hat bereits digitale Kompetenzen im Präsenzunterricht erlernt.
· Eine digital fitte Lehrkraft mit ebenfalls guter digitaler Ausstattung und ausreichender Infrastruktur könnte diese Kinder mit Aufgaben über die Lernplattform/das LMS versorgen, ggf. zusätzliche Übungen oder Erklärfilmen.
· Bei zusätzlich verfügbarem Zeitbudget kann die Lehrkraft sogar individualisierte Videokonferenzen anbieten und Mail/Messenger für die Kommunikation mit den Kindern und auch den Erziehungsberechtigten führen.
· Die Lehrkraft kann unterschiedliche digitale und analoge Feedbackmöglichkeiten nutzen, um sowohl den Kindern als auch den Eltern Rückmeldung zu geben.
· Die Lehrkraft kann unterschiedliche digitale datenschutzkonforme Tools einsetzen, um den Kindern einen Lernzuwachs zu ermöglichen bzw. den Lernzuwachs der Kinder zu dokumentieren.
Viele dieser Möglichkeiten fallen mit dem Fehlen der technischen Ausstattung und der Infrastruktur weg:
· Kind B hat wenig oder kaum häusliche Unterstützung und der einzige digitale Zugang ist ein Smartphone mit begrenztem Datenvolumen, allenfalls noch ein Tablet.
· Die Schule von Kind B nutzt keine Lernplattform/kein LMS. Denn um eine solche nutzen zu können (und bei uns auf dem „platte Land“ ist das tatsächlich häufig der Fall), bräuchte man eine gute Infrastruktur, die fehlt aber häufig.
· Schulträger statten zunächst die weiterführenden Schulen aus, denn nach wie vor sind viele (Lokal)Politiker der Meinung, dass Grundschüler „erstmal Lesen, Schreiben und Rechnen lernen sollen, die können doch noch gar nicht mit den digitalen Geräten umgehen.“
Weitere Hemmnisse:
· Die Lehrkräfte der Schule sind nicht vorbereitet auf ein digital gestütztes Szenario, müssen sich selber erst fit machen durch Fortbildungen.
· Durch Lehrermangel ist aber kaum Zeitbudget dafür vorhanden.
· Fortbildungen digitaler Art sind abhängig von guter Infrastruktur und Ausstattung sowie guten Fortbildnern.
· Eine digital noch nicht ganz so fitte Lehrkraft könnte zumindest mit den Kindern per Mail/Messenger kommunizieren.
Im Hybridunterricht (Szenario B) wäre es ja möglich, die Leistungskontrolle in die Präsenzzeit zu legen, doch schon hier ist die erfolgreiche Vorbereitung dafür auch von oben genannten Kriterien abhängig. Die Schere öffnet sich weiter, je weniger Kriterien zutreffen.
Im Distanzlernen (Kinder zu Hause) ist eine erfolgreiche Vorbereitung und Durchführung für eine zeitgleiche Leistungskontrolle schwierig (und in meinen Augen unsinnig), wenn nicht alle Kinder die gleichen Voraussetzungen haben.
Tatsächlich sichern gute Infrastruktur und digitale Kompetenzen (sowohl der Kinder als auch der Lehrkräfte) den Erfolg des Distanzlernens und geben auch benachteiligten Kindern wie Kind B die Möglichkeit der erfolgreichen Teilnahme (keine wirkliche Chancengleichheit)
Welche Möglichkeiten hätte man im Distanzlernen?
Kurzreferate per Videokonferenz mit Bildschirmteilung, selbsterstellte Erklärvideos (auf denen das Kind zum Beispiel einen Versuch oder ein Phänomen erklärt), gemeinsame Durchführung einer digitalen Exkursion zum Zoo/zum Dinopark/Museum mit Beteiligung der Kinder (stelle uns dein Lieblingstier/Dino/Bild des Künstlers vor), kollaborativ geschriebene Textsammlungen, usw.
Transparenz bei den Erwartungen sind wichtig und im Vorfeld zu kommunizieren.
Ob das rechtlich sicher ist, mag ich bezweifeln. Denn natürlich kann man da auch übereifrige Eltern haben, die mitlenken. Meine Erfahrungen zeigen allerdings, dass die Kinder selbst viel Eifer und Selbstverständnis an den Tag legen, wenn sie motiviert sind und vor allem, wenn sie das selbständige Arbeiten gewöhnt sind.
In Situationen wie Szenario B und Distanzlernen gilt für mich immer „Beziehung vor Bildung“, heißt Videokonferenzen und Kommunikationsmöglichkeiten überwiegend zur Beziehungspflege nutzen und nicht zur Leistungskontrolle unter Druck.
Teilhabe am Unterrichtsgeschehen für Kinder in Quarantäne ermöglichen, aber auch asynchrones Lernen in Videokonferenzen anbieten. Hier bietet sich zusätzlich als Unterstützersystem der Digital Buddy an (wenn jemand nicht teilnehmen kann wegen Krankheit o.ä., erklärt ihm der Digital Buddy später, was durchgenommen und besprochen wurde. Quasi ein digitaler (Haus)Aufgabendienst).
Die Diskussion über Prüfungsformate zeigt nicht nur, dass wir diese überdenken und uns umstellen müssen. Sie zeigt meines Erachtens auch, dass die Notengebung zumindest in der Grundschule auf den Prüfstand gehört. Warum und wie sollen wir etwas zensieren, wenn nicht zumindest ähnliche Voraussetzungen erfüllt sind? Dieser Punkt bereitet mir die größten Bauchschmerzen.