Das Erwin-Wurm-Projekt 2011
2011 durfte ich einen Wahlpflichtkurs Kunst Klasse 10 unterrichten. Das war die Zeit, in der immer mehr Jugendliche eigene Handys bekamen bzw. die ersten Smartphones in den Schulen auftauchten, mit denen man auch wirklich gute Foto- und Filmaufnahmen erstellen konnte. Während ich diesen Blogbeitrag schreibe, wird mir wieder einmal bewusst, wie unglaublich schnell sich die Technik in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, welche Möglichkeiten sich durch die Vielzahl der Apps und Programme gerade im künstlerischen Bereich auftun – und wie selten dies in den Schulen tatsächlich genutzt wird. Byod war 2010/11 gerade in der Sekundarstufe ein sehr großes Thema, das leider im Kampf gegen Datenschutz und Prüfungssicherheit oftmals den Kürzeren gezogen hat.
Katapultieren wir uns nun zurück in die Zeit, in der noch der Geist der Pionierarbeit mitschwang, der uns alle irgendwie beflügelte und motivierte, einfach mal auszuprobieren. Testen, was geht. Wir (mein WPK und ich) hatten jede Woche eine Doppelstunde lang Zeit, uns ganz dem Gestalterischen hinzugeben, und mein Glück war, dass wirklich alle in diesem Kurs sehr motiviert und interessiert mitgearbeitet haben.
Als Abschlussprojekt dieses Schuljahres hatte ich mir Erwin Wurm ausgesucht, dessen Arbeit mich schon lange faszinierte und dessen Darstellungsformen ich immer mal im Unterricht umsetzen wollte.
Mehr Infos zu Erwin Wurm und seiner Kunst findet ihr hier: https://www.erwinwurm.at/artworks.html
Eine gute Mischung aus Fotografie und Film sollte es werden, angelehnt an das Video „Can’t stop“ der Red Hot Chilli Peppers, die Erwin Wurms’ One Minute Skulpturen in ihr Musikvideo eingebaut haben. Ein Zeitfenster von wenigen Wochen bis zu den Sommerferien musste genügen.
Das Musikvideo war dann auch der fulminante Einstieg und der Kurs schwer begeistert. Die Chillis sind cool und dann auch noch in Verbindung mit Kunst – Motivation war sofort da.
Wir beschäftigten uns dann zunächst mit der Arbeit von Erwin Wurm und blockierten so erstmal den PC-Raum. Es gab zu der Zeit nur einen PC-raum, der mit 10 Windows-Computern mit Internetzugang und einigen Standardprogrammen wie Gimp und Moviemaker ausgestattet war. Erste Aufgabe war es, im Internet ein Werk von Wurm auszuwählen, das einen besonders ansprach. Dann sollten daran angelehnt eigene One Minute Sculptures geschaffen, fotografiert und und den Mitschüler:innen vorgestellt werden. Das Ganze dauerte gute zwei Wochen und fast alle Skulpturen sind im häuslichen Bereich entstanden. Freiwillige Mehrarbeit der Schüler:innen, die kaum zu stoppen waren. Bewertungskriterien hatten wir vorab gemeinsam festgelegt und die Arbeiten wurden zwecks Notenfindung alle gemeinsam besprochen und diskutiert. Den Schüler:innen hätte auch unsere schuleigene und eine private Kamera zur Verfügung gestanden, aber sie wollten alle lieber ihre eigenen Geräte nutzen.
Währenddessen zerschnippelte ich in mühevoller Feinarbeit den Song der Chillis in etwa gleich lange Schnipsel (ja, „damals“ musste man das noch per Hand machen, heute gibt es dazu andere Möglichkeiten …) und verteilte nach den Präsentationen der Skulpturen die Files an die Schüler:innen, die sich zu Kleingruppen zusammengeschlossen hatten (meist zu zweit oder zu dritt, aber auch zu viert). Sie hatten nun den Song, den Text und die Aufgabe, zu ihrem Schnipsel ihre One Minute Skulpturen zu performen. Zusätzlich musste aber auch noch der Text lippensynchron „gesungen“ werden, denn am Ende sollte ja ein Musikvideo dabei herauskommen (die Lippensynchronität stellte sich später als größte Schwierigkeit heraus und wurde als Bewertungskriterium dann auch gestrichen)..
Mit der Schulleitung wurde abgesprochen, dass die Schüler:innen an dem Tag, an dem sie Kunst haben, ihr Handy bzw. eine Kamera mit in die Schule bringen durften (die Gesamtkonferenz hatte sich nämlich erst kurz vorher für Handyverbot ausgesprochen).
Drei Wochen lang wurde nun eifrig geplant, gefilmt und fotografiert. Die fertigen, teilweise mit Moviemaker erstellten Schnipsel erreichten mich per Stick, Dropbox, Mail oder Facebook. Ja, tatsächlich hatten wir eine freiwillige WPK-Gruppe auf Facebook, mit Schulleitungserlaubnis zu Unterrichtszwecken. Damals war Facebook der „heiße shice“ der Teenies und gleichzeitig die einzige Möglichkeit, kooperativ digital zu arbeiten. Einen Schulserver hatten wir 2011 noch nicht und die schwächliche Infrastruktur gab ansonsten kaum Möglichkeiten her.
Zusammengesetzt habe ich dann die Schnipsel mit Imovie an meinem Mac. Der Kurs durfte sich das Video natürlich zuerst ansehen, und alle waren total stolz auf das, was sie gemeinsam erstellt hatten. Die einzelnen Videoschnipsel haben wir nach dem gleichen Prinzip besprochen und bewertet wie zuvor die Skulpturen. Die unterschiedlichen Qualitäten der Videos in Bezug auf Auflösung wurden nicht in die Bewertungskriterien einbezogen, wohl aber Aufbau, Komposition und Originalität.
Auf der Schulentlassung haben wir es als Überraschung für Eltern, Lehrer:innen und Mitschüler:innen ganz zum Schluss nach der Zeugnisübergabe vorgeführt.
Was soll ich sagen – voller Erfolg.
Leider leider konnte das Video nie öffentlich gezeigt werden – denn es ist ja mit der Musik der Peppers unterlegt und urheberrechtlich bzw. durch die GEMA geschützt.
Seit der GEMA-Änderung 2021 dürfen 15 Sekunden allerdings legal genutzt werden. Hier also nun ein paar Schnipsel (das Zurechtschneiden per Imovie und das Verpixeln mit YouTube haben problemlos geklappt).