Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt. Die Wahl zum Thema Nummer 4 wurde diesmal von Herrn Mess organisiert.
Here we go: Osterferien in Niedersachsen, zweite Woche. Die Kinder sind auf dem Ponyhof, der Mann muss arbeiten. Ich habe ganz viel Zeit für mich, für Müßiggang, zum Abschalten, zum Schule Schule sein lassen, für Dinge, für die sonst die Zeit fehlt. Also endlich mal Zeit, einen Beitrag zur Blogparade zu schreiben (Danke, Susanne Posselt, für deine Tipps dazu).
Und dann dieses Thema: Ein Lehrer oder eine Lehrerin aus meiner eigenen Schulzeit hat mich nachhaltig beeindruckt, weil….. weil?
Ich bin ein Lehrerkind. Mein Vater war Studienrat auf dem örtlichen Gymnasium in unserer Kleinstadt und das bedeutete für mich, dass der Freundes- und Bekanntenkreis meiner Eltern sich überwiegend aus Lehrerinnen und Lehrern zusammensetzte. Als ich ab der 7. Klasse (damals gab es noch die Orientierungsstufe in Niedersachsen) das Gymnasium besuchte, kannte ich den Großteil des Kollegiums bereits – und sie mich.
Ich denke an den skurrilen Geschichtslehrer mit Ledertasche und Butterbrot. Die Deutschlehrerin mit permanent guter Laune und roten Bäckchen. An die Kunstlehrerin mit den wilden Geschichten aus Paris. An den Sportlehrer mit Jogginganzug und Dauerverspätung. An den Mathematiklehrer mit Schwerhörigkeit und Lautstärke. An die Französischlehrerin mit Dolmetscherausbildung ohne Pädagogikerfahrung. An den Physiklehrer mit nikotingelben Fingernägeln. Den Biolehrer mit Kaffeevorrat im Archiv. An den Musiklehrer mit Liebe für deutsches Liedgut aus der Mundorgel. Jede und jeder ein Unikat, Lehrkräfte, über die wir auch nach vierzig Jahren noch den Kopf schütteln oder uns liebevoll erinnern. Lehrkräfte, die uns mal mehr oder weniger engagiert auf unserer Schullaufbahn begleitet haben.
Vielleicht hatte diese Vertrautheit mit dem Lehrerleben für mich zur Folge, dass ich einige meiner (Klassen-)Lehrer und Lehrerinnen recht nett fand, aber mich niemand wirklich nachhaltig beeindrucken konnte. Niemand – bis auf meinen Kunstlehrer.
Und so ist dieser Blogpost -anders als geplant- ein durchaus persönlicher Nachruf für den besten Kunstlehrer geworden, den ich kannte – meinen Vater.
Mein Vater floh als Junge mit seiner Familie aus dem Osten über Berlin in den Westen, eine hochdramatische und tief berührende Geschichte. Nachdem meine Großeltern sich mit dem Wenigen, was ihnen geblieben war, in Hagen/Westfalen niedergelassen hatten, ging mein Vater zunächst bei einem Gärtner in die Lehre, später landete er im Frankfurter Botanischen Garten, wovon ein paar Fotos in einem alten Fotoalbum zeugen.
Mein Vater beschloss nach erfolgreicher Ausbildung, sein Abitur auf dem Kolleg in Siegen abzulegen, was ihm auch gelang. Danach ging er gemeinsam mit meiner Mutter nach Mainz, um dort viel Fleiß und Disziplin Kunst und Biologie zu studieren. Den Lebensunterhalt für die Familie verdiente er neben dem Studium durch Jobs wie Anstreichen von Kühltürmen mit natogrünem Speziallack, Katalogisieren von Filmrollen im Archiv des ZDFs oder Arbeiten bei den Bergischen Achsen in den Semesterferien. In unserer Miniwohnung hatte eine eigene Dunkelkammer aufgebaut und brachte sich selber das Entwickeln und Vergrößern von Fotos bei. Bald gab es neben der Spiegelreflexkamera eine Super-8-Kamera und so bin ich in der glücklichen Lage, bewegte Bilder meiner Kindheit immer wieder anschauen zu können (denn die Filme hat er in seinen letzten Lebensjahren noch mal eben selber digitalisiert). In den 80er Jahren fing er dann an, Zaubertricks einzuüben und diese immer mehr zu professionalisieren. Zum Zaubern kam dann irgendwann das Bauchreden dazu. Nach einer kleinen Auswahl von Handpuppen kam irgendwann Gottfried, sein alter Ego. Mit ihm hat mein Vater es auf ein besonderes Level des Bauchredens geschafft.
Mein Vater konnte sich sein Leben lang für vieles begeistern und diese Begeisterung auf seine Schülerinnen und Schüler übertragen. Er drehte mit ihnen Anfang der 80er Jahre Super-8-Trickfilme, sorgte dafür, dass digitale Medien an der Schule für den künstlerischen Bereich sehr früh angeschafft und eingesetzt wurden. Gestaltete und baute Kulissen für Schulveranstaltungen und seine geliebte Theater-AG. Mein Vater schrieb und gestaltete viele Jahre hindurch sehr akribisch das Jahrbuch der Schule. Richtete ein schulisches Fotolabor ein und bot die dazugehörige Foto-AG an. Er erhielt den Preis als beliebtester Lehrer und schaffte es zweimal (bei unseren jüngsten Geschwistern), vom jeweiligen Abijahrgang mit einem Kilmerstuten (Tradition im Oldenburger Münsterland) überrascht zu werden.
Die Nähe zu den Schülerinnen und Schülern, die er zuließ, fußte auf gegenseitigem Respekt. Ich habe ihn nie über Schüler/Schülerinnen oder Kollegen/Kolleginnen schimpfen hören. Wenn jemand seine Hilfe benötigte, war er da. Er unterstütze, wo er konnte, hatte für alle ein offenes Ohr. Er war sehr gerne Lehrer und das zeigte er, durch die Qualität seines sorgfältig geplanten Unterrichts, durch die Mühen, die er sich bei der Materialbeschaffung gab. Durch die Möglichkeiten, die er den Schülerinnen und Schülern bot. Durch seinen Humor, der nie verletzend, aber immer unterhaltsam war.
Leider gibt es eine Kehrseite der Medaille: Die Aufopferung für den Beruf, für seine Leidenschaften, die bedingungslose Hilfsbereitschaft anderen gegenüber verdeckten gekonnt seine Schwachstellen. Den Eintritt in den „Unruhestand“ durfte aus gesundheitlichen Gründen nicht lange genießen. Viele Dinge mache ich anders als er – ich achte auf meine Gesundheit, mein Familienleben ist mir sehr wichtig und ich habe gelernt, nein zu sagen.
Mein Vater hat mich (nicht nur) als Lehrer nachhaltig beeindruckt, weil er mich gelehrt hat, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen. Nicht vorschnell zu urteilen und lieber eine Nacht über etwas zu schlafen (was mir nach wie vor schwer fällt, aber ich bemühe mich!). Kreativ zu sein und Dinge auszuprobieren, die man interessant findet, auch auf die Gefahr hin, dass Fehler passieren könnten. An das eigene Potential zu glauben und nicht vorschnell aufzugeben. So manchen Gedanken und Plan durchaus kritisch zu hinterfragen. Kinder wichtig und ernst zu nehmen.
Er war der beste Lehrer, den ich kannte.
Er fehlt.

Christiane Schicke auf „Neues aus dem Baumhaus“: https://moewenleak.wordpress.com/2024/03/26/blogparade-4-ein-pauker-schlag-oder-auch-welche-lehrer-haben-mich-beeindruckt/.
Erik Grundmann auf SchulMUN: https://www.schulmun.de/2024/03/27/2024-09-lehrkraefte-die-mir-besonders-im-gedaechtnis-geblieben-sind-als-teile-einer-blogparade/
Liebe Maria, welch warmherzige Liebeserklärung an deinen Vater und unseren Beruf!
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Was für einen wunderschöne Liebeserklärung an deinen Vater! Danke für diesen Beitrag.
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