Bullerbü war gestern: Die Herausforderungen und Chancen von kleinen Grundschulen in ländlichen Gebieten

Bullerbü, das idyllische schwedische Dorf, ist für viele Menschen ein Symbol für das unbeschwerte Landleben. „Ach, bei euch ist doch Bullerbü, in eurer kleinen Schule!“ Ein Spruch, den ich leider schon viel zu häufig gehört habe und der häufig als wenig wertschätzend empfunden wird. 

Denn Bullerbü war gestern.

Die Realität sieht in vielen ländlichen Gegenden mittlerweile anders aus. Kleine Grundschulen in Dörfern und ländlichen Gebieten stehen vor strukturellen und personellen Problemen, die ihre Existenz bedrohen können. Dennoch spielen diese Schulen eine entscheidende Rolle für die dörfliche Struktur und die Bildungschancen der Kinder. Es ist an der Zeit, die Herausforderungen anzuerkennen, aber auch die Bedeutung und Chancen von kleinen Grundschulen zu würdigen.

Kleine Grundschulen kämpfen oft mit begrenzten Ressourcen. Sie haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie größere Schulen, wenn es um die Vielfalt des Unterrichtsangebots, die Ausstattung der Klassenräume oder die Bereitstellung von Spezialisten für bestimmte Fächer geht. Zudem können kleine Grundschulen aufgrund geringerer Schülerzahlen Schwierigkeiten haben, die benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen, denn das Landesbudget bemisst sich in Niedersachsen an der Schülerzahl.

Kleine Grundschulen stehen auch vor personellen Herausforderungen. Lehrerinnen und Lehrer in ländlichen Gebieten sehen sich oft mit Isolation, begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten und fehlenden Unterstützungsstrukturen konfrontiert. Die Suche nach qualifizierten Lehrkräften, insbesondere in bestimmten Fächern, kann sich als schwierig erweisen. Schulsozialarbeitsstellen fehlen an kleinen Grundschulen zur Unterstützung. Lehrkraft an einer kleinen Schule zu sein bedeutet, in jedem Schuljahr als Klassenlehrkraft eingesetzt zu werden, auch wenn man Stunden reduziert hat. Es bedeutet, auf kein „Jahrgangsteam“ mit gemeinsamen Teamsitzungen zurückgreifen zu können, das im Krankheitsfall die Unterrichtsplanung auffängt. Es bedeutet, zusätzlich mindestens eine offizielle Aufgabe zu bekleiden, sei es Datenschutzbeauftragter, Fachkonferenzleitung, Personalrat, usw. Es bedeutet, mit der Nähe des kleinen Systems umgehen zu können. Ausweichen oder aus dem Weg gehen – fast unmöglich. Das setzt eine hohe Konfliktfähigkeit und Resilienz voraus.

Auch der Posten der Schulleitung hat wenig mit der beschaulichen Dorfschule aus Bullerbü zu tun: Das Aufgabenportfolio der Schulleitung kleiner Grundschulen beispielsweise umfasst die selben Kernaufgaben wie an großen Systemen. Unabhängig von den Schülerzahlen müssen Statistiken erstellt, Haushaltsbudgets verwaltet, Elterninfos herausgegeben, Konzepte erarbeitet und evaluiert, Unterrichtsqualität gefördert, Kooperationen geplant und durchgeführt werden, um nur einige zu nennen. Anders als an großen Systemen stehen Sekretariats- und die Hausmeisterstellen oftmals nur sehr begrenzt zur Verfügung, eine Konrektoratsstelle steht einer Schule erst ab 190 Schülerinnen und Schülern zu. Mehr Abrechnungsstunden zur Arbeitsentlastung gibt es auch nur abhängig von der Zahl der zu beschulenden Kinder – bedeutet im Umkehrschluss eine hohe Unterrichtsverpflichtung bei wenig Schülerinnen und Schülern. 

Das Amt der Schulleitung einer kleiner Grundschulen zu bekleiden setzt heutzutage die große Kunst voraus, den Spagat zwischen (Klassen-)Lehrkraft, Organisationstalent, IT-Experte, Bürokaufmann/-frau, Sanitäter(in), Sozialarbeiter (in) und Ansprechpartner(in)  für alle und alles zu sein. 

Wer Schulleitung einer kleinen Grundschule wird, der weiß mittlerweile, worauf er oder sie sich einlässt. Die Motivation, eine kleine Schule zu leiten, ist in den seltensten Fällen der finanzielle Aspekt. Schulleitung einer kleinen Grundschule wird man, weil man – wie die Lehrkräfte – die Nähe dieses kleinen Systems aushalten kann. 

Weil man die Chancen erkennt, die mit kleinen Grundschulen einhergehen: Die unschätzbare Bedeutung kleiner Grundschulen für frühkindliche Bildung und Inklusion in ländlichen Gebieten. Durch innovative pädagogische Konzepte, die verstärkte Einbindung der Eltern und der lokalen Gemeinschaft sowie die Nutzung digitaler Technologien können kleine Schulen ihre individuellen Stärken ausspielen. Zudem kann die Zusammenarbeit mit anderen Schulen und Bildungseinrichtungen in der Region Ressourcen und Fachwissen bündeln. Schulträger können auch durch geschickte Regelungen und Absprachen bezüglich der Schuleinzugsgebiete dafür Sorge tragen, dass Kinder, die aus inklusiven Gründen in kleineren Systemen besser aufgehoben sind, die Möglichkeit der freien Wahl erhalten.

Kleine Grundschulen in ländlichen Gebieten nehmen eine bedeutende Rolle in der frühkindlichen Bildung ein, insbesondere im Kontext der Inklusion von Kindern mit besonderen Bedarfen. Trotz struktureller und personeller Herausforderungen spielen diese Schulen eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Vielfalt, Individualität und sozialer Integration. Ihre Bedeutung erstreckt sich über den reinen Bildungsaspekt hinaus und wirkt sich positiv auf die gesamte Gemeinschaft aus.

Kleine Grundschulen sind oft besser aufgestellt, um inklusive Bildung zu ermöglichen. Durch kleinere Klassenverbände und eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Eltern und externen Fachleuten können individuelle Unterstützungsangebote für Kinder mit besonderen Bedarfen besser koordiniert werden. Die familiäre Atmosphäre und die Nähe zur lokalen Gemeinschaft schaffen ein Umfeld, in dem Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen sich unterstützt fühlen und an Selbstvertrauen gewinnen können. Dies trägt wesentlich zur erfolgreichen Inklusion bei.

Kleine Grundschulen bieten einen idealen Rahmen für eine ganzheitliche frühkindliche Bildung. Durch eine stärkere individuelle Betreuung und engere Beziehung zwischen Lehrern und Schülern können die Lernbedürfnisse jedes Kindes besser erfasst und unterstützt werden. Dies ermöglicht eine differenzierte Förderung und berücksichtigt die vielfältigen Lernrhythmen und -stile der Kinder. Zudem schaffen kleine Schulen oft Räume für eine Vielzahl von außerschulischen Aktivitäten, die die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder bereichern.

Kleine Grundschulen spielen eine wichtige Rolle bei der Stärkung der sozialen Bindungen in ländlichen Gemeinschaften. Sie dienen oft als Treffpunkt und Mittelpunkt des sozialen Lebens, in dem nicht nur die Kinder, sondern auch Eltern und andere Gemeindemitglieder zusammenkommen. Dies kann dazu beitragen, das soziale Gefüge der Dorfgemeinschaft zu festigen und den Zusammenhalt zu stärken.

Kleine Grundschulen in ländlichen Gebieten sind unverzichtbare Akteure in der frühkindlichen Bildung und Inklusion. Ihre enge Verwurzelung in der lokalen Gemeinschaft, die individuelle Förderung der Schüler und die Möglichkeit zur Umsetzung inklusiver Bildungskonzepte machen sie zu authentischen Orten des Lernens, der Vielfalt und des sozialen Miteinanders. Es ist wichtig, ihre Bedeutung hervorzuheben und sie bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen zu unterstützen, damit sie weiterhin einen wertv zur positiven Entwicklung der Kinder und der gesamten Gemeinschaft leisten können.

Kleine Grundschulen in ländlichen Gebieten stehen zweifelsohne vor großen Herausforderungen. Dennoch dürfen wir ihre Bedeutung für die dörfliche Struktur und die Bildungschancen der Kinder nicht unterschätzen. Indem wir die strukturellen und personellen Probleme angehen und gleichzeitig ihre Chancen nutzen, können wir dazu beitragen, dass diese Schulen auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Denn welche Alternativen gibt es? Zentralisierung der Grundschulen in großen Schulneubauten, für die kleine Kinder mit Bussen morgens und nachmittags lange Wege hin-und hertransportiert werden? Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit? Wegfall des Wahlspruchs „Kurze Wege für kurze Beine“? Da wird man sich die Frage gefallen lassen müssen, ob Wirtschaftlichkeit uns so viel wert ist.

Bullerbü war gestern – aber kleine Grundschulen sind und bleiben ein wesentlicher Bestandteil unserer ländlichen Gemeinschaften, die man stärken und wertschätzen sollte. 

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